
Heute berichte ich von meinem Gespräch mit einem „alten Bekannten“ aus der RFID-Szene. Schon seit vielen Jahren sind Alexander Gauby und ich uns immer wieder in RFID-Projekten begegnet. Einige Projekte wie zum Beispiel bei den Adler Modemärkten und Karstadt haben wir gemeinsam umgesetzt.
Alexander Gauby ist ein „RFID-Ur-Gestein“ mit einer umfangreichen RFID-Vergangenheit. Vor 6 Jahren kam er schließlich zur sys-pro nach Berlin und ist dort seit dem für die Entwicklung von Lösungen in der Logistik und im Omnichannel-Commerce verantwortlich.
„Corona hat die Modenranche ordentlich durchgeschüttelt“
Uwe Quiede: Wir haben uns zuletzt im Februar auf der EuroShop getroffen. Dort hatte ich den Eindruck, dass sich mittlerweile wieder mehr Modehändler mit RFID beschäftigen. Die Gefahr ist allerdings, dass viele Händler aufgrund von Corona einen Rückzieher machen, obwohl gerade jetzt und durch den steigenden Click&Collect-Anteil die Mehrwerte durch RFID immer deutlicher werden (ich hatte zu diesem Thema bereits einen Denkanstoß geschrieben). Welche Auswirkungen hat Corona für Euch und Eure Kunden? Wie liefen die letzten Monate?
Alexander Gauby: Die Auswirkungen von Corona waren natürlich ganz besonders bei den Modeunternehmen zu erkennen! Auf der NRF Anfang Januar in New York war zu merken, dass RFID in Amerika und Asien längst angekommen ist und die Unternehmen bereits die Früchte ernten. Auf der EuroShop führten wir dann sehr viele und interessante Gespräche – sowohl mit Brands als auch mit Händlern. Im Februar zeichnete sich ab, dass nicht nur die großen Player wie Adidas, Nike, Bestseller und Inditex, sondern auch viele kleine und mittelständische Unternehmen die Potenziale endlich erkannt hatten. Es geht schließlich einerseits um Prozessoptimierungen und andererseits darum, wie wertvoll fehlerfreie Artikelbestände besonders im Omnichannel-Commerce sind.
Und dann kam der Corona-Lockdown. Etwa 2/3 der interessierten Unternehmen hatten ihr RFID-Projekt kurzfristig pausieren lassen und beschäftigten sich mit existentieller Grundsicherung. Durch Personalwechsel verloren viele Unternehmen ihr technisches Knowhow und fingen wieder bei null an. Hinsichtlich Daten- und Prozesskompetenz haben viele Händler mindestens ein Jahr verloren. Doch es gilt: Wer im Online-Geschäft profitabel arbeiten will, braucht unbedingt saubere Prozesse und verlässliche Daten.
„Corona hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht“
Uwe Quiede: Wie ist die sys-pro selbst mit dieser Situation umgegangen?
Alexander Gauby: Der Lockdown hatte uns in den ersten Monaten ziemlich zurückgeworfen. Es gab einige Projekte, die erst einmal auf Eis gelegt wurden bzw. wo durch personelle Wechsel die Entscheidungsfindung wieder von vorne begann. Im Sommer war unsere Belegschaft auch teilweise in Kurzarbeit. Wir hatten aber Glück. Zum einen weil wir Kunden haben, die die durch Corona frei gewordenen Kapazitäten proaktiv genutzt haben, um Projekte schneller umzusetzen. Und zum anderen sind wir glücklicherweise nicht nur im Modebereich tätig. Deshalb sind wir inzwischen wieder im „Normalbetrieb“. Seit einigen Wochen merken wir trotz der 2. Welle, dass inzwischen viele Unternehmen den Digitalisierungsturbo gezündet haben. Dabei stellen wir fest, dass sich die Händler intensiver mit RFID beschäftigen, je größer der E-Commerce-Anteil ist.
„Der Nutzen von RFID in den Logistikprozessen und bei der Retourenabwicklung ist weiter gestiegen“
Uwe Quiede: Mittlerweile hat sich durch die Weiterentwicklung der RFID-Technik die Leserate in den logistischen Prozessen deutlich verbessert, wie Ihr mit Eurer Tunnel-Lösung bewiesen habt. Wie sieht es denn da bei der Retouren-Abwicklung aus? Besonders würde mich interessieren, wie man prozessual damit umgeht, dass retournierte Ware nicht mehr verkaufsfähig ist oder kein RFID-Etikett mehr besitzt. Hierfür muss es auch eine Lösung geben, die dann jedoch sicherlich den Retourenprozess verlangsamt. Gibt es entsprechende Workarounds?
Alexander Gauby: Grundsätzlich können die Händler mit RFID beim Thema Retouren viele Vorteile erzielen. Anfang des Jahres hatten wir unseren neuen Tunnel in der Logistik von Ulla Popken für den Versandhandel installiert. Seitdem kontrolliert Ulla Popken den Warenausgang automatisiert, so dass die Kunden zu 100% die Artikel erhalten, die sie bestellt haben. Alleine dadurch hat sich schon die Retourenquote reduziert.
Ein weiterer Vorteil von RFID ist die schnellere Wiedernutzbarkeit der retournierten Ware und damit eine Verbesserung des Lagerumschlages. Direkt nach dem Empfang der Retourensendungen kann so die Ware z.B. mit einem RFID-Handheld oder einem Tisch-Reader kontaktlos identifiziert werden, ohne die Pakete auspacken zu müssen. Dadurch weiß der Händler sofort, welche Artikel retourniert wurden.
„Der Anteil der Ware, der ohne RFID-Etikett retourniert wird, ist vernachlässigbar“
Uns liegen aktuell noch keine Auswertungen vor, wie hoch der Anteil der Ware ist, die ohne Etikett zurückkommen. Nach Einschätzung der Händler scheint dies nicht wesentlich zu sein. Aber angenommen, es wären 2%, so würde es den Händlern bereits helfen, wenn sie die 98% der retournierten Ware früher wieder in ihrem Lagerbestand berücksichtigen und sie durch den früheren Verkauf u.a. geringere Preisabschriften als z. B. am Saisonende realisieren können. Bei der Retourenbearbeitung mit RFID lassen sich übrigens auch deutliche Produktivitätsvorteile erzielen. Mit dem RFID-Arbeitsplatz werden sowohl die retournierten Artikel als auch die damit verbundene Onlinebestellung automatisch erfasst. Dadurch kann sich der Mitarbeiter auf die Arbeit an der Ware konzentrieren. Produktivitätskiller werden reduziert.
Jeder Händler prüft sehr unterschiedlich die Verkaufsfähigkeit der retournierten Artikel. Das hängt u.a. vom jeweiligen Sortiment ab. RFID hilft auch an dieser Stelle. Denn durch den eineindeutigen „Electronic Product Code“ des Artikels kann ich genau erkennen, welcher Artikel z. B. das 3. Mal retourniert wurde und daher möglicherweise einen Fehler hat und nicht mehr verkaufsfähig ist. So kann man effizient und risikoorientiert prüfen.
„RFID ist mittlerweile auch für kleinere und mittelgroße Händler finanzierbar“
Uwe Quiede: Eine weitere Hürde zur Einführung von RFID ist insbesondere für kleine und mittelständige Händler die Höhe der Investitionen und die Angst vor der Komplexität einer RFID-Einführung. Darüber hinaus warten die Händler, bis die Markenhersteller ihre Ware mit RFID auszeichnen. Obwohl viele Händler ihre Ware selbst auszeichnen und somit eigentlich keinen Mehraufwand durch eine RFID-Auszeichnung haben, ist dies eins ihrer Hauptargumente gegen einen RFID-Einsatz. Hier bedarf es pragmatischer und simpler Lösungen für diese Händler. Dabei müssen Investitionen und Integration so gering und einfach wie möglich gehalten werden.
Alexander Gauby: Wir haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Die früheren Vorbehalte bzgl. RFID galten sowohl für große als auch für kleine Händler. Der Unterschied war nur, dass die kleinen Händler eher der Meinung waren, dass sie sich das nicht leisten könnten und ihnen darüber hinaus der Mehrwert durch RFID nicht bewusst war. Denn wie relevant der entgangene Umsatz durch Out-of-Stock-Situationen tatsächlich ist, wird den Händlern jetzt erst bewusst, weil sie das im E-Commerce inzwischen ganz klar messen und sehen. Das wurde vorher völlig unterschätzt.
Auf der anderen Seite müssen wir RFID-Lösungsanbieter uns allerdings auch an die eigene Nase fassen. Ehrlicherweise haben sich viele mit ihrem Projektgeschäft nur auf die großen Unternehmen konzentriert. Das war nicht richtig. Wir gehen jetzt einen anderen Weg und bieten deshalb – so wie Du es sagst – ganz pragmatische und einfache Lösungen, mit denen auch kleinere Händler schnell einen wirtschaftlichen Nutzen erzielen können. Da setzen wir vor allem auf Cloud-Lösungen und Preismodelle mit monatlichem Nutzungsentgelt statt hoher einmaliger Investitionen. Wir merken, dass wir gerade die kleinen und mittelständischen Händler auf diese Weise viel besser von RFID überzeugen.
Vielen Dank, Alexander, für das interessante und aufschlussreiche Gespräch. Ich wünsche Euch noch viele spannende und erfolgreiche RFID-Projekte.
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